Demokratie ist kein festes Konstrukt; sie lebt durch den ständigen Austausch, die Diskussion, die Bereitschaft zuzuhören und sich zu engagieren. In Zeiten, in denen die Gesellschaft zunehmend polarisiert ist und die Skepsis gegenüber demokratischen Institutionen wächst, sind neue Formate dringend nötig, um den Dialog zwischen Menschen zu fördern. Ein ganz besonderes Projekt hat sich seit einem Jahr in Kassel etabliert: Der Demokratiezug. Indem es in einer Straßenbahn als mobiles Forum fungiert, ermöglicht dieses Diskussionsforum die Erfahrung von Demokratie im Alltag: Es lädt die Fahrgäste ein, miteinander zu reden, einander zuzuhören und über die großen und kleinen Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens zu debattieren. Es gilt für alle Reisenden mit einem gültigen Fahrschein – ganz gleich, wie alt man ist, woher man kommt oder welcher politischen Meinung man angehört.
Über 1.300 Gespräche in mehr als 50 Fahrten innerhalb eines Jahres belegen das große Interesse und den Bedarf an diesen niedrigschwelligen Austauschformaten. Der Demokratiezug, ins Leben gerufen von der Initiative "Platz nehmen für Demokratie" zusammen mit der Kasseler Verkehrs-Gesellschaft und der Stadt Kassel, hat sich mittlerweile als feste Institution im Stadtbild etabliert. Gespräche über wichtige Themen werden von ausgebildeten Diskursbegleiterinnen und -begleitern moderiert. Sie schaffen eine offene Atmosphäre, in der auch kontroverse Themen respektvoll behandelt werden können. Der Gedanke ist: Demokratie sollte nicht nur in Parlamenten oder auf Podien stattfinden, sondern mitten im Alltag, dort, wo Menschen sich begegnen.
Die Resonanz ist beeindruckend: Hunderte von Fahrgästen haben bereits mitgemacht, viele Ehrenamtliche unterstützen als Diskursbegleiterinnen und Diskursbegleiter, und das Projekt wurde sogar mit dem Nachhaltigkeitspreis 2025 der Evangelischen Bank ausgezeichnet. Die Initiatoren erzählen von einer großen Bandbreite an Themen – von Klimapolitik über Alltagsrassismus, vom Umgang mit Fake News bis zu Fragen nach dem gesellschaftlichen Zusammenhalt. Der rollende Diskursraum ist also nicht nur ein Zeichen für eine aktive Demokratie, sondern auch ein Versuchsfeld für neue Dialogformen.
Sven Schoeller, der Oberbürgermeister und Schirmherr der Initiative, hebt hervor, wie wichtig solche Formate für die Demokratie sind: Das Rückgrat der Demokratie könne nur gestärkt werden durch den offenen Austausch und die Bereitschaft, andere Sichtweisen anzunehmen. Die positiven Erfahrungen in Kassel haben dazu geführt, dass bereits Gespräche mit anderen Städten stattfinden, die das Modell übernehmen möchten. So könnte der Demokratiezug als rollendes Raum für Debatte, Dialog und demokratische Teilhabe zum Vorbild für ganz Deutschland werden.
Ursprung und Entwicklung des Demokratiezugs
Der Demokratiezug in Kassel hat seine Entstehung eng mit den gesellschaftlichen Herausforderungen der letzten Jahre. Die Schaffung neuer Räume für den demokratischen Diskurs wurde notwendig, weil die politische Polarisierung zunimmt, die Distanz zwischen Bürgerinnen und Bürgern und politischen Institutionen wächst und Desinformation sich verbreitet. Eine Gruppe von engagierten Bürgerinnen und Bürgern aus Kassel, die schon in anderen partizipativen Projekten mitgewirkt hatten, gründete 2023 die Initiative "Platz nehmen für Demokratie". Die Straßenbahn als Diskussionsraum zu nutzen, kam auf, weil man ein mobiles Format schaffen wollte, das Menschen an den Orten trifft, wo sie sich bereits aufhalten – im öffentlichen Nahverkehr.
Die Umsetzung wurde durch die enge Kooperation mit der Kasseler Verkehrs-Gesellschaft (KVG) ermöglicht. Einen Beiwagen der Straßenbahnlinie 1 hat die KVG zur Verfügung gestellt, der im Design der Initiative gestaltet ist und mit Technik für moderierte Gespräche ausgestattet wurde. Die Stadt Kassel unterstützte das Vorhaben politisch und sorgte dafür, dass das Projekt auch über die Anfangsphase hinaus gefördert werden konnte. Die ersten Testfahrten begannen schon im Sommer 2024, und am 3. Oktober 2024 – dem Tag der Deutschen Einheit – wurde der Demokratiezug offiziell in Betrieb genommen.
Die Resonanz war sofort spürbar: Bereits auf den ersten Fahrten diskutierten dutzende Fahrgäste mit. Die Entscheidung, mit Diskursbegleiterinnen und Diskursbegleiter zu arbeiten, war ein entscheidender Faktor für den Erfolg. In speziell entwickelten Workshops haben wir diese Ehrenamtlichen geschult, damit sie Diskussionen moderieren, Konflikte deeskalieren und ein respektvolles Miteinander sichern können. Der Demokratiezug etablierte sich schnell als fester Bestandteil des Kasseler Stadtlebens und ist ein Symbol für bürgerschaftliches Engagement sowie eine innovative Demokratievermittlung.
Das Projekt hat sich im Jahr 2025 kontinuierlich weiterentwickelt. Die Anzahl der Diskursbegleiterinnen und -begleiter wuchs, ebenso wie das Spektrum der Themen, die diskutiert wurden. Die Initiative baute Beziehungen zu anderen Städten auf und verband sich mit Organisationen, die ähnliche Ziele verfolgen. Die Menschen haben ein Bedürfnis nach Austausch, nach Dialog auf Augenhöhe und nach neuen Beteiligungsformen abseits der klassischen Gremien und Podien, wie der Erfolg des Demokratiezugs beweist.
Das Konzept des rollenden Diskursraums
Im Gegensatz zu klassischen Diskussionsforen oder Bürgerdialogen ist der Demokratiezug grundlegend anders. Das zentrale Element ist der niederschwellige Zugang: Jeder mit einem gültigen Fahrschein kann teilnehmen – ganz spontan, ohne Anmeldung und ohne die Verpflichtung, sich aktiv einzubringen. Indem man die Tram nutzt, wird die Fahrt zum Raum für die Erprobung von demokratischer Teilhabe. Der Diskursraum hat eine bewusste Offenheit. Es gibt keine festen Themenvorgaben; die Gespräche entstehen aus den Interessen und Anliegen der Fahrgäste.
Hierbei sind die Diskursbegleiterinnen und Diskursbegleiter von großer Bedeutung. Sie schaffen eine respektvolle Atmosphäre für Gespräche, regen den Austausch an und moderieren, wenn nötig, auch kontroverse Diskussionen. Das Ziel ist es, die Meinungsvielfalt zu fördern und den Fahrgästen Raum zu geben, ihre Sichtweisen einzubringen, Fragen zu stellen und gemeinsam Lösungen zu finden. Das Format setzt bewusst auf Gleichberechtigung und Augenhöhe: Es gibt keine Expertinnen oder Experten im herkömmlichen Sinne, sondern alle sind eingeladen, ihre Erfahrungen und Sichtweisen zu teilen.
Ein weiterer Punkt des Konzepts ist, dass es sich gut in den Alltag einfügt. In der Straßenbahn treffen sich Menschen aus den verschiedensten sozialen und kulturellen Hintergründen. Es ist viel einfacher, sich zu beteiligen, als bei klassischen politischen Veranstaltungen; die Hemmschwelle ist deutlich niedriger. Während viele Fahrgäste spontan in die Gespräche einsteigen, hören andere zunächst nur zu und bringen sich später ein. Ein Klima von Offenheit, Neugier und gegenseitigem Respekt kennzeichnet die Atmosphäre.
Nachhaltigkeit ist auch ein wichtiger Aspekt des Demokratiezugs: Die Diskursbegleiterinnen und -begleiter erhalten fortlaufend Schulungen, und die Initiative überprüft regelmäßig die Erfahrungen, um das Format weiter zu verbessern. Die Ehrung mit dem Nachhaltigkeitspreis 2025 der Evangelischen Bank würdigt das innovative Konzept und die nachhaltige Wirkung des Projekts. Der rollende Diskursraum macht deutlich, dass Demokratievermittlung auch außerhalb der gewohnten Formate möglich ist – genau dort, wo Menschen sich treffen und miteinander reden.
Die Rolle und Ausbildung der Diskursbegleiterinnen und Diskursbegleiter
Das Herzstück des Demokratiezugs sind die Diskursbegleiterinnen und Diskursbegleiter. Sie sollen Gespräche anstoßen und moderieren, während Sie sicherstellen, dass selbst bei kontroversen Themen der Respekt gewahrt bleibt. Um Freiwillige auf diese herausfordernde Aufgabe vorzubereiten, hat die Initiative "Platz nehmen für Demokratie" ein Schulungsprogramm erstellt. Bislang haben rund 80 Menschen aus Kassel und der Umgebung an den Workshops teilgenommen, und etwa 30 von ihnen sind regelmäßig aktiv.
Die Ausbildung beinhaltet unterschiedliche Module: Kommunikations- und Moderationstechniken, Konfliktbewältigung, Grundwissen der Gesprächspsychologie sowie Inhalte zu gesellschaftlichen und politischen Themen. Ein besonderer Fokus liegt auf der Lehrmethoden zur Deeskalation und zur Förderung von Empathie. Die Diskursbegleiterinnen und Diskursbegleiter erfahren, wie sie verschiedene Meinungen ohne Bewertung sichtbar machen und zurückhaltende Fahrgäste ermutigen, sich zu Wort zu melden.
Die Reflexion über die eigene Rolle ist ein weiterer Bestandteil der Ausbildung. Die Diskursbegleiterinnen und Diskursbegleiter sehen sich nicht als Expertinnen und Experten, sondern als Moderierende, die einen geschützten Raum für den Austausch schaffen. Sie greifen nur dann ein, wenn die Gesprächsregeln missachtet werden oder wenn eine Diskussion kurz vor der Eskalation steht. Ansonsten geben sie den Fahrgästen viel Raum, um eigene Themen zu setzen und Lösungen zu finden.
Ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen, Geduld und Flexibilität ist erforderlich, um ehrenamtlich tätig zu sein. Die Diskursbegleiterinnen und Diskursbegleiter erzählen, dass sie selbst viel lernen – über andere Lebenswelten, Perspektiven und die Schwierigkeiten, mit denen Menschen im Alltag konfrontiert sind. Die Treffen und Supervisionen der Initiative finden regelmäßig statt, um Erfahrungen auszutauschen, über schwierige Situationen zu reden und die eigenen Kompetenzen zu verbessern.
Die Fahrgäste schätzen das Engagement der Diskursbegleiterinnen und Diskursbegleiter sehr. Die wichtige Rolle der Moderation für einen respektvollen und konstruktiven Austausch wird von vielen Gesprächsteilnehmerinnen und -teilnehmern hervorgehoben. In ihrer wichtigen Rolle sorgen die Diskursbegleiterinnen und Diskursbegleiter dafür, dass der Demokratiezug ein sicherer und offener Raum für Debatten bleibt – sie machen die Demokratie im Alltag erlebbar.
Thematische Vielfalt und gesellschaftliche Relevanz
Die Themen des Demokratiezugs sind ein Spiegelbild der Vielfalt und der Schwierigkeiten, mit denen unsere Gesellschaft heute konfrontiert ist. Die Themen umfassen alles von aktuellen politischen Entwicklungen wie Klimapolitik, Migration und Integration bis zu Fragen des alltäglichen Zusammenlebens, wie Nachbarschaftskonflikten, Generationenverständigung oder der Bedeutung von Ehrenamt. Das Thema gesellschaftlicher Zusammenhalt, der Umgang mit verschiedenen Meinungen und die Funktion der Medien in einer Demokratie sind Gegenstand vieler Debatten.
Ein immer wiederkehrendes Thema ist, wie man mit Desinformation und Fake News umgeht. Die meisten Fahrgäste machen sich Sorgen über die Verbreitung von Falschinformationen in sozialen Netzwerken und die Folgen für das gesellschaftliche Klima. Die Gespräche drehen sich um die Überprüfung von Quellen, die Stärkung der Medienkompetenz und die Verantwortung, die jeder Einzelne für die Qualität der öffentlichen Debatte trägt.
Ein weiteres wichtiges Thema ist die Inklusion und die Teilhabe aller gesellschaftlichen Gruppen. Es wird darüber debattiert, wie man Menschen mit Migrationsgeschichte, ob jung oder alt, Menschen mit Behinderungen oder aus verschiedenen sozialen Milieus besser in politische Prozesse einbeziehen kann. Fragen zu Diskriminierung, Alltagsrassismus und Chancengleichheit werden ebenfalls immer wieder behandelt.
Den Diskursbegleiterinnen und Diskursbegleitern zufolge entstehen intensive Diskussionen vor allem dann, wenn persönliche Erfahrungen und unterschiedliche Sichtweisen zusammentreffen. Für zahlreiche Fahrgäste ist es eine Bereicherung, Stimmen zu hören, die sie sonst vielleicht nie gehört hätten. Ein gesellschaftlicher Dialoglabor ist der rollende Diskursraum also – und ein Ort, an dem man Demokratie ganz praktisch erleben kann.
Die Tatsache, dass der Demokratiezug auch schwierige und umstrittene Themen nicht meidet, wird von den Organisatorinnen und Organisatoren als eine Stärke angesehen. Die Initiative sieht Demokratie als ein Streit der Meinungen, der respektvoll und konstrktiv ist – das ist ihr Selbstverständnis. Die Gespräche über so viele verschiedene Themen beweisen, dass die Menschen stark daran interessiert sind, sich einzubringen, Fragen zu stellen und zusammen Lösungen zu finden.
Die Bedeutung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt
Der Demokratiezug ist nicht nur ein Diskussionsforum; er dient auch als Werkzeug zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts. In einer Ära, in der unsere Gesellschaft immer mehr unter Spaltungstendenzen leidet und das Vertrauen in die Institutionen schwindet, ermöglicht das Projekt einen Raum für den Austausch zwischen Menschen verschiedener Herkunft, Generationen und Weltanschauungen. Eine alltägliche Begegnung, ohne Hierarchien und ohne festgelegte Rollen, wird als besonders wertvoll angesehen.
Forschungen belegen, dass gesellschaftlicher Zusammenhalt vor allem dort entsteht, wo Menschen sich treffen, einander zuhören und gemeinsame Erlebnisse teilen. Der Demokratiezug ist dafür ein perfekter Rahmen: Eine informelle Atmosphäre, die Offenheit für verschiedene Perspektiven und die Chance, einfach als Zuhörer teilzunehmen, reduzieren die Hemmschwelle zur Teilnahme. Zahlreiche Fahrgäste erzählen, dass sie durch die Gespräche neue Sichtweisen entdeckt und Vorurteile abgebaut haben.
Die Diskursbegleiterinnen und Diskursbegleiter sorgen dafür, dass alle Stimmen gehört werden und niemand ausgeschlossen wird, auch wenn sie nicht die Mehrheit vertreten. Es ist besonders wichtig, in kontroversen Diskussionen unterschiedliche Sichtweisen sichtbar zu machen und zwischen den Beteiligten Brücken zu bauen. Das erreicht man, indem man die Regeln des respektvollen Umgangs strikt einhält und die Fahrgäste ermutigt, auch eigene Unsicherheiten und Zweifel auszudrücken.
Auch die Politik erkennt, wie wichtig der Demokratiezug für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ist. Sven Schoeller, der Oberbürgermeister, lobte das Projekt als "eine besondere Erfolgsgeschichte" und stellte fest, dass die Offenheit für den Austausch mit anderen Ansichten das Fundament der Demokratie sei. Selbst Menschen aus anderen gesellschaftlichen Gruppen betrachten den Demokratiezug als ein Vorbild für neue Beteiligungsformen und zur Stärkung des Miteinanders.
Im Jahr 2025 sind solche Formate gefragter denn je. In Anbetracht von gesellschaftlichen Herausforderungen wie demografischem Wandel, Migration, sozialer Ungleichheit und der Digitalisierung des öffentlichen Raums sind Räume nötig, die den Austausch und die Entwicklung gemeinsamer Lösungen fördern. Der Demokratiezug beweist, dass dies im Alltag, außerhalb der klassischen Institutionen und Gremien, möglich ist.
Herausforderungen und Grenzen des Projekts
Obwohl der Demokratiezug große Erfolge verzeichnet, gibt es auch Herausforderungen, die er meistern muss. Eine der größten Herausforderungen ist es, alle Bevölkerungsgruppen tatsächlich zu erreichen. Obwohl der Zugang zum Diskursraum niedrigschwellig ist, sind bestimmte Gruppen – wie Menschen ohne festen Wohnsitz, solche mit Sprachbarrieren oder diejenigen, die dem öffentlichen Nahverkehr fernbleiben – bisher unterrepräsentiert. Die Initiative arbeitet daran, auch diese Gruppen zu erreichen, indem sie sie gezielt anspricht, mit sozialen Einrichtungen zusammenarbeitet und mehrsprachige Diskursbegleiterinnen und -begleiter einsetzt.
Eine weitere Schwierigkeit liegt in der Moderation von kontroversen und emotional stark besetzten Themen. Besonders bei Themen wie Migration, Corona-Maßnahmen oder politischen Wahlen sind Konflikte und hitzige Debatten nicht selten. Obwohl die Diskursbegleiterinnen und Diskursbegleiter für solche Situationen geschult sind, gibt es Grenzen dessen, was man in einem offenen Diskursraum wie der Straßenbahn leisten kann. Es kann notwendig sein, Gespräche abzubrechen oder Teilnehmerinnen und Teilnehmer daran zu erinnern, die Gesprächsregeln einzuhalten. In Einzelfällen hat die Initiative bereits Personen, die wiederholt gegen die Regeln verstoßen haben, vom weiteren Gespräch ausgeschlossen.
Ein weiterer begrenzender Faktor ist die Projektkapazität. Weil der Demokratiezug nur einmal pro Woche auf dieser Linie fährt, ist die Anzahl der Teilnehmenden pro Fahrt begrenzt. Das Angebot möchte die Initiative gerne erweitern, aber sie ist auf personelle und finanzielle Ressourcen angewiesen. Um neue Diskursbegleiterinnen und Diskursbegleiter auszubilden, die Fahrten zu organisieren und das Format fortlaufend zu evaluieren, ist ein erheblicher Aufwand nötig.
Die Dokumentation und Auswertung der Gespräche ist ebenfalls eine Herausforderung. Um den Datenschutz und die Anonymität der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu gewährleisten, werden keinerlei persönliche Daten erfasst. Die Auswertung stützt sich deshalb ausschließlich auf die anonymisierten Rückmeldungen und Beobachtungen der Diskursbegleiterinnen und Diskursbegleiter. Die wissenschaftliche Begleitforschung könnte eine wertvolle Unterstützung bieten, um die Wirkung des Projekts genauer zu erfassen, jedoch ist dies bisher nur in Einzelfällen möglich.
Angesichts dieser Schwierigkeiten betrachtet die Initiative den Demokratiezug als ein lernendes Projekt. Die ersten Monate und das Feedback der Fahrgäste werden fortlaufend genutzt, um das Format weiterzuentwickeln. Die Grenzen des Projekts werden offen kommuniziert – und dienen als Ansporn, noch mehr Menschen in den gemeinsamen Dialog einzubeziehen.
Anerkennung und Auszeichnungen für das Projekt
Im Jahr 2025 hat der Demokratiezug nicht nur in Kassel, sondern auch bundesweit Aufsehen erregt. Ein sichtbares Zeichen der Anerkennung des Projekts ist die Auszeichnung mit dem Nachhaltigkeitspreis 2025 der Evangelischen Bank. Die Jury begründet ihre Entscheidung damit, dass der Demokratiezug ein "innovatives und beispielhaftes Format für gelebte Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt" sei. Die Aspekte der Niedrigschwelligkeit des Zugangs, der Themenvielfalt und der nachhaltigen Wirkung auf das gesellschaftliche Klima in Kassel wurden besonders betont.
Das Projekt wurde ebenfalls von anderen Institutionen und Organisationen anerkannt. Die Bundeszentrale für politische Bildung hat den Demokratiezug als "Best Practice"-Beispiel in ihr Programm aufgenommen und rät anderen Kommunen, ähnliche Formate auszuprobieren. In den Fachkreisen der politischen Bildung und der Demokratieforschung wird der Demokratiezug als Modell für neue Partizipationsformen erörtert. Die Kombination von Alltagserfahrungen, dialogischer Moderation und offener Beteiligung wird als besonders zukunftsweisend angesehen.
Die Medienberichterstattung und die Einladungen zu Fachkonferenzen sind Belege für die öffentliche Resonanz. Vertreterinnen und Vertreter der Initiative "Platz nehmen für Demokratie" haben schon mehrmals die Gelegenheit bekommen, ihre Erfahrungen zu teilen und das Konzept des Demokratiezugs bei Podiumsdiskussionen, Workshops und Tagungen vorzustellen. Dank der positiven Berichterstattung in regionalen und überregionalen Medien ist das Projekt über die Grenzen von Kassel hinaus bekannt geworden.
Die Ehrenamtlichen finden es wichtig, durch Auszeichnungen und die Anerkennung in der Fachöffentlichkeit motiviert zu werden, das Projekt fortzusetzen und auszubauen. Die Initiative hebt jedoch hervor, dass der wahre Erfolg des Demokratiezugs darin liegt, wie er die Menschen vor Ort beeinflusst: durch die Gespräche, die Kontakte und den gestärkten Zusammenhalt. Die Ehrungen zeigen, dass man im Jahr 2025 innovative und praxisnahe Formate der Demokratievermittlung als besonders wichtig erachtet.
Perspektiven und Übertragbarkeit auf andere Städte
Nach dem Erfolg des Demokratiezugs in Kassel ist die Frage, wie man dieses Modell in anderen Städten umsetzen kann, sehr relevant. Die Initiative "Platz nehmen für Demokratie" hat schon mit mehreren Kommunen gesprochen, die einen eigenen Demokratiezug haben möchten. Wichtige Voraussetzungen sind die Zusammenarbeit mit den lokalen Verkehrsunternehmen, die Unterstützung durch die Stadtverwaltung und die Rekrutierung engagierter Diskursbegleiterinnen und Diskursbegleiter. Die Lehren aus Kassel belegen, dass ein Projekt dieser Art am besten gelingt, wenn es fest im lokalen Gemeinwesen verankert ist und von verschiedenen Akteuren unterstützt wird.
Die lokalen Gegebenheiten beeinflussen ebenfalls, wie der Demokratiezug woanders übertragen werden kann. In größeren Städten mit einem guten Nahverkehrsnetz sind Straßenbahnlinien oder spezielle Sonderfahrten möglich. In kleineren Kommunen sind alternative Formate wie mobile Diskussionsräume, Begegnungscafés oder auch Busse denkbar. Das Wichtigste ist, dass der Zugang niedrigschwellig bleibt und die Menschen dort erreicht werden, wo sie ohnehin vorbeikommen.
Die Initiative unterstützt interessierte Städte dabei, ihren eigenen Demokratiezug zu planen und umzusetzen. Hierzu zählen die Erstellung eines Schulungskonzepts für Diskursbegleiterinnen und Diskursbegleiter, die Einrichtung des Diskursraums und die Pressearbeit. Regelmäßige Netzwerktreffen und gemeinsame Veranstaltungen fördern den Austausch zwischen den Projekten. Das Ziel ist es, eine Bewegung für mehr gelebte Demokratie und gesellschaftlichen Dialog in Deutschland zu etablieren.
Selbst auf politischer Ebene gibt es Überlegungen, das Modell zu fördern. Bundes- und Landesvertreterinnen und -vertreter haben ihr Interesse bekundet, die Förderung innovativer Formate der Demokratievermittlung auszubauen. So könnte der Demokratiezug ein bundesweites Vorbild werden – für einen alltagsnahen, offenen und respektvollen Dialog, der die Demokratie stärkt und den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördert.
2025 wird ein Jahr des Wachstums: Der Demokratiezug ist bereit, in weiteren Städten neue Strecken zu eröffnen und so den demokratischen Diskurs zu fördern. Die Erfahrungen aus Kassel bieten eine wertvolle Grundlage und beweisen, dass Demokratie lebt, wenn Menschen miteinander reden.