
In Hessen und darüber hinaus hat die Diskussion über eine Meldepflicht für psychisch kranke Menschen, die potenziell eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen könnten, zu einer kontroversen Debatte geführt. Auslöser ist der Vorschlag, das Hessische Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz dahingehend zu ändern, dass Ärzte verpflichtet werden, die Polizei über bestimmte Patienten zu benachrichtigen. Befürworter bringen vor, dass dies einen wesentlichen Beitrag zur öffentlichen Sicherheit leisten könnte. Kritiker warnen jedoch vor einer Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen und weisen auf ethische, datenschutzrechtliche und praktische Probleme hin. Zu den diskutierten Themen gehören die psychiatrischen Versorgungsressourcen, der Umgang mit sensiblen Informationen durch die Polizei sowie das Spannungsverhältnis zwischen Datenschutz, öffentlicher Sicherheit und Fürsorgepflicht.
Das Thema ist, nicht zuletzt aufgrund einzelner tragischer Vorfälle, bei denen psychisch kranke Menschen Gewalttaten verübt haben, stärker in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Es werden Forderungen nach mehr Kontrolle, Prävention und Transparenz laut, doch Experten warnen gleichzeitig vor einer Undifferenziertheit. Psychisch kranke Menschen stellen nicht grundsätzlich eine Gefahr dar – ganz im Gegenteil: Viele von ihnen sind selbst besonders schutzbedürftig oder werden diskriminiert. Dennoch bleibt die Frage, wie man mit jenen umgeht, bei denen eine akute Fremdgefährdung nach fachlicher Einschätzung vorliegt, insbesondere wenn sie aus einer stationären Behandlung entlassen werden und die Versorgungslage angespannt ist.
Die hessische Landesregierung erkennt die Notwendigkeit von Maßnahmen, um Behörden für drohende Gefahren zu sensibilisieren und ihre Reaktionsgeschwindigkeit im Ernstfall zu erhöhen. Vertreter der Polizei zeigen sich aufgeschlossen gegenüber dem Vorschlag, heben jedoch hervor, dass die Polizei keine therapeutische Rolle einnehmen kann und die wahre Herausforderung in einer umfassenden psychiatrischen Versorgung besteht. Die Pläne werden von medizinischen Fachgesellschaften, Patientenvertretungen und Datenschützern scharf kritisiert. Sie schlagen Alarm wegen einer systematischen Weitergabe sensibler Gesundheitsdaten und haben Bedenken, dass dies negative Folgen für das Vertrauensverhältnis zwischen Ärzten und Patienten haben könnte. Damit hat sich die Debatte zu einem Sinnbild für den gesellschaftlichen Umgang mit psychischen Erkrankungen, persönlicher Freiheit und Sicherheit entwickelt.
Im Folgenden werden die unterschiedlichen Aspekte dieser Auseinandersetzung untersucht: von den rechtlichen Rahmenbedingungen über die Standpunkte der Berufsverbände bis hin zu den Erfahrungen anderer Länder. Im Mittelpunkt stehen auch die Sichtweisen der Polizei, der medizinischen Fachkräfte und der Betroffenen. Der Artikel untersucht die Hintergründe der angestrebten Gesetzesänderung, die Schwierigkeiten in der psychiatrischen Versorgung und die ethischen Dilemmata, die mit einer Meldepflicht einhergehen. Er erkundigt sich nach den potenziellen Konsequenzen für alle Beteiligten und demonstriert die Komplexität und Vielschichtigkeit des Themas.
Hintergründe und Entstehung der vorgesehenen Meldepflicht
In Hessen ist die Debatte über eine Meldepflicht für psychisch kranke Menschen mit potenziell gefährlichem Verhalten nicht ohne Vorlauf entstanden. In den vergangenen Jahren kam es immer wieder vor, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen nach ihrer Entlassung aus psychiatrischen Einrichtungen straffällig wurden oder andere bedrohten. Solche Ereignisse haben die öffentliche Diskussion über Sicherheit und Prävention intensiviert und einen politischen Handlungsdruck erzeugt. Als Antwort darauf brachte die hessische Landesregierung den Vorschlag zur Novellierung des Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes ein. Es soll eine rechtliche Basis geschaffen werden, die es erlaubt, gezielt Informationen an die Polizei weiterzugeben, wenn von ehemaligen Patienten eine konkrete Bedrohung für Dritte ausgeht.
Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass Ärzte und psychiatrische Einrichtungen verpflichtet werden sollen, die Polizei über die Entlassung von Patienten zu informieren, bei denen nach fachlicher Einschätzung eine erhebliche Gefährdung für andere besteht. Die Bedingung: Eine zusätzliche Unterbringung ist nicht machbar, zum Beispiel aufgrund rechtlicher oder kapazitiver Gründe. Dadurch würde die geplante Regelung eine Ausnahme von dem Grundsatz der ärztlichen Schweigepflicht schaffen, die bisher nur in sehr engen Grenzen erlaubt ist.
Laut der Landesregierung kann eine derartige Meldepflicht dazu beitragen, dass die Behörden sich frühzeitig sensibilisieren und schneller auf Bedrohungssituationen reagieren. Obwohl auch in anderen Bundesländern ähnliche Diskussionen stattfinden, ist Hessen bislang der Vorreiter mit dem konkreten Gesetzesvorhaben. Im Rahmen einer umfassenderen sicherheitspolitischen Debatte, in der der Schutz der Allgemeinheit immer mehr gegen Datenschutz und Persönlichkeitsrechte abgewogen wird, steht die Initiative.
Die psychiatrische Versorgungsstruktur, auf die sich die geplante Meldepflicht bezieht, steht vielerorts unter Druck. Es wird immer wieder auf die Engpässe bei stationären Plätzen und die unzureichende ambulante Nachsorge hingewiesen. Die Konsequenz: Patienten, die eigentlich einer weiteren Betreuung bedürfen, werden entlassen – manchmal entgegen der ärztlichen Empfehlung. Die Politik sieht sich einem Dilemma gegenüber: Einerseits möchte sie für mehr Sicherheit sorgen, andererseits kann sie nicht genügend Ressourcen bereitstellen, um eine umfassende Versorgung zu gewährleisten. Vor diesem Hintergrund entstand die Idee einer Meldepflicht, die von Anfang an umstritten ist.
Die Haltung der Ärzte: Schweigepflicht und Vertrauensverhältnis
Die Ärzteschaft spricht sich überwiegend gegen die geplante Meldepflicht für psychisch kranke Patienten aus, die potenziell eine Gefahr für Dritte darstellen. Die ärztliche Schweigepflicht wird als eine der wesentlichen Grundlagen des medizinischen Berufsstandes angesehen. Sie bewahrt das Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Behandler, welches in der Psychiatrie besonders wichtig ist. Patienten müssen sich darauf verlassen können, dass ihre sensiblen Informationen nicht ohne ihr Wissen und ihre Zustimmung an Dritte weitergegeben werden. Ein Vertrauensbruch kann gravierende Folgen nach sich ziehen: Zahlreiche Fachleute warnen davor, dass Betroffene im Zweifelsfall möglicherweise keine Behandlung in Anspruch nehmen oder wesentliche Informationen zurückhalten könnten, wenn sie befürchten müssen, dass ihre Angaben an die Polizei weitergeleitet werden.
Fachgesellschaften wie die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) heben hervor, dass die Schweigepflicht nicht nur eine ethische, sondern auch eine rechtliche Verpflichtung darstellt. In Notfällen, wie bei akuter Lebensgefahr, sind Ausnahmen schon jetzt möglich. Das Strafgesetzbuch gestattet es bereits, in solchen Situationen Geheimnisse preiszugeben, wenn dies notwendig ist, um eine unmittelbare Gefahr abzuwenden. Die beabsichtigte Meldepflicht würde allerdings eine systematische und präventive Weitergabe von Daten vorsehen, was aus Sicht vieler Ärzte einen erheblichen Überschreitung der bisherigen Grenzen darstellt.
Darüber hinaus bringt die Ärzteschaft Bedenken hinsichtlich der Praktikabilität der vorgesehenen Regelung zum Ausdruck. Es ist oft schwierig und mit erheblichen Unsicherheiten verbunden, einzuschätzen, ob von einem Patienten eine konkrete Gefahr für Dritte ausgeht. Psychische Störungen zeigen unterschiedliche Verläufe, und Vorhersagen über das zukünftige Verhalten sind oft spekulativ. Zusätzlichen Druck auf die behandelnden Ärzte könnte die Angst vor Fehleinschätzungen ausüben. Nicht zuletzt weisen viele Mediziner darauf hin, dass die wahre Herausforderung in einer verbesserten Versorgung und Nachsorge besteht – nicht im Weitergeben von Daten an die Polizei. Fehlen ausreichende therapeutische Angebote, könne eine Meldepflicht sogar kontraproduktiv sein, da sie das Problem nur verlagere, anstatt es zu lösen.
Polizeiliche Perspektiven: Möglichkeiten und Einschränkungen der Information
Die hessische Polizei betrachtet die vorgeschlagene Meldepflicht als eine Möglichkeit, aber auch als eine erhebliche Herausforderung. Vertreter von Polizeigewerkschaften, darunter Dirk Peglow vom Bund Deutscher Kriminalbeamter, heben hervor, dass Informationen über potenziell gefährliche Personen dabei helfen könnten, Bedrohungslagen besser einzuschätzen und im Ernstfall schneller zu handeln. Um Gefahren zu identifizieren und entsprechende Aktionen einzuleiten, ist die Polizei in vielen Fällen auf externe Hinweise angewiesen. Eine strukturierte Weitergabe von relevanten psychiatrischen Informationen könnte zur Gefahrenabwehr beitragen.
Zugleich betonen Vertreter der Polizei, dass die Erwartungen an diese realistisch bleiben sollen. Die Behörde hat nicht die personellen und fachlichen Ressourcen, um eine fortlaufende Beobachtung oder Betreuung nach der Entlassung von Patienten sicherzustellen. Es wird als unrealistisch und nicht zielführend angesehen, zu glauben, die Polizei könne potenziell gefährlichen psychisch kranken Menschen „hinterherrennen“. Die Polizei wird vor allem als dafür zuständig angesehen, im Falle eines konkreten Vorfalls über relevante Hintergrundinformationen zu verfügen, um angemessen reagieren zu können.
Ein weiteres Problem ist der Umgang mit sensiblen Gesundheitsdaten. Die Polizei muss solche Informationen vor unbefugtem Zugriff schützen und darf sie nur im Rahmen klar definierter Aufgaben verwenden. Allerdings warnen Datenschützer vor den Gefahren von Missbrauch oder Datenlecks, die mit der Zentralisierung personenbezogener Daten einhergehen. Auch bei der Polizei bestehen deshalb Bedenken, wie ein sicheres und verantwortungsvolles Handeln sichergestellt werden kann.
Es wird von polizeilichen Vertretern zudem betont, dass die unzureichende psychiatrische Versorgung die eigentliche Ursache für die Entlassung potenziell gefährlicher Patienten sei. Die Polizei könne nur eine vorläufige Lösung anbieten, während die Prävention und eine verbesserte Nachsorge im Mittelpunkt stehen sollten. Deshalb sehen viele in der geplanten Meldepflicht nicht die Lösung, sondern ein Zeichen für eine systemische Unterversorgung.
Datenschutz sowie rechtliche Folgen
Die Absicht, bei psychisch kranken Patienten eine Meldpflicht einzuführen, wirft massive datenschutzrechtliche und juristische Probleme auf. Gesundheitsdaten zählen zu den besonders sensiblen personenbezogenen Informationen und genießen ein hohes Schutzniveau gemäß der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und dem Bundesdatenschutzgesetz. Die ärztliche Schweigepflicht ist auch im Strafgesetzbuch (§ 203 StGB) festgelegt und darf nur in streng limitierten Ausnahmefällen verletzt werden.
Datenschützer üben Kritik daran, dass die systematische Weitergabe von Informationen über psychiatrische Patienten an die Polizei einen gravierenden Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen darstelle. Sie beziehen sich auf das im Grundgesetz verankerte Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 GG). Daher müsse eine gesetzliche Regelung, die die Übermittlung von Gesundheitsdaten pauschal vorsieht, besonders strengen Anforderungen entsprechen. Viele Experten sind der Ansicht, dass eine solche Maßnahme nur dann zulässig ist, wenn sie zur Abwehr einer konkreten, schwerwiegenden Gefahr unerlässlich und verhältnismäßig ist.
Zwar sieht die geplante Regelung vor, dass nur solche Patienten gemeldet werden sollen, von denen eine erhebliche Fremdgefährdung ausgeht, so wie es die fachliche Einschätzung nahelegt. Es bleibt jedoch die Frage, wie deutlich und objektiv diese Schwelle definiert werden kann. Juristen sehen die Möglichkeit, dass die Datenübermittlung ausgeweitet oder missbraucht wird. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, dass Betroffene, die von einer Meldung erfahren oder annehmen müssen, betroffen zu sein, das Gefühl haben, dass sich ihr Leben einschränkt oder sie nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können.
Auch die Polizei hat aufgrund des Datenschutzrechts den Auftrag, übermittelte Daten ausschließlich im Rahmen eindeutig festgelegter Aufgaben zu nutzen und sie nach Zweckentfall zu löschen. Um Missbrauch zu vermeiden, sollte die genaue Gestaltung der Datenübermittlung, -speicherung und -löschung im Gesetz gründlich festgelegt werden. Deshalb verlangen Datenschutzbeauftragte eine enge Kontrolle durch das Parlament sowie eine unabhängige Überwachung der Praxis. Die Diskussion über die Meldepflicht verdeutlicht beispielhaft, wie herausfordernd es ist, Sicherheit und Datenschutz im Bereich der öffentlichen Gesundheit miteinander zu vereinbaren.
Versorgungslage in der Psychiatrie und strukturelle Mängel
Die Debatte über eine Meldepflicht für psychisch kranke Menschen richtet die Aufmerksamkeit auf grundlegende Probleme in der psychiatrischen Versorgung. Es wird von zahlreichen Fachleuten darauf hingewiesen, dass die Anzahl der stationären Betten in psychiatrischen Kliniken in den vergangenen Jahren an vielen Orten abgenommen hat. Insbesondere im ländlichen Raum sind ambulante Nachsorgestrukturen oft unzureichend entwickelt. Folglich werden Patienten, die in Wirklichkeit auf eine intensive Betreuung angewiesen wären, entlassen – häufig aus Gründen der Kapazität und entgegen dem klaren Rat der behandelnden Ärzte.
Die unzureichende Finanzierung der psychiatrischen Versorgung ist seit vielen Jahren ein bekanntes Problem. Psychiatrische Kliniken berichten über Personalmangel, hohe Arbeitsbelastung und fehlende spezialisierte Fachkräfte. Die langen Wartezeiten auf Therapieplätze verschärfen die Versorgungslage weiter. Gerade für Personen mit schweren und chronischen psychischen Erkrankungen mangelt es an spezialisierten Angeboten.
Viele Fachleute sehen in der geplanten Meldepflicht einen Ausdruck dieser strukturellen Defizite. Anstatt die Ursachen des Problems, die unzureichende Versorgung, zu bekämpfen, werde die Verantwortung auf die Polizei und andere Behörden übertragen. Für eine nachhaltige Lösung seien jedoch Investitionen in den Ausbau stationärer und ambulanter Therapieangebote, in mehr Personal und in eine bessere Vernetzung der Versorgungsstrukturen erforderlich.
Ein weiteres Problem stellt die mangelnde Kontinuität in der Nachsorge dar. Viele Patienten stehen nach ihrer Entlassung aus der Klinik allein da, besonders wenn es an ambulanten Hilfsangeboten fehlt. Dadurch können Rückfälle, Chronifizierung und ein erhöhtes Risiko für einen selbst oder andere entstehen. Daher wird von Fachleuten ein umfassendes, niederschwelliges Angebot an Nachsorge, Krisenintervention und sozialpsychiatrischer Unterstützung gefordert. Nur so lasse sich die Gefahr minimieren, dass überhaupt kritische Situationen entstehen, in denen eine Meldepflicht als letzte Maßnahme notwendig erscheint.
Erfahrungen sowie Bestimmungen in anderen Staaten
Das Thema, ob psychisch kranke Personen mit potenzieller Gefährdung meldepflichtig sein sollten, ist nicht nur in Deutschland Gegenstand von Debatten. Ein Blick über die Landesgrenzen hinweg offenbart, dass verschiedene Länder äußerst unterschiedliche Strategien anwenden, um das Spannungsfeld zwischen persönlicher Freiheit, Datenschutz und öffentlicher Sicherheit zu gestalten.
In Großbritannien existiert das Konzept der „Multi-Agency Public Protection Arrangements“ (MAPPA), bei dem verschiedene Institutionen – einschließlich Polizei, Sozialdienste und Gesundheitswesen – kooperieren, um das Risiko gefährlicher Personen zu bewerten und zu steuern. Auch Informationen über psychische Erkrankungen werden einbezogen, jedoch nur unter strengen datenschutzrechtlichen Auflagen und in klar definierten Fällen. Die Kooperation beschränkt sich auf Hochrisikofälle, und die Betroffenen erhalten normalerweise Informationen über die Datenweitergabe.
In den USA gibt es in mehreren Bundesstaaten „Duty to Warn“- oder „Duty to Protect“-Gesetze, die Therapeuten dazu anhalten, Behörden oder potenzielle Opfer zu benachrichtigen, wenn ein Patient eine ernsthafte und konkrete Bedrohung äußert. Allerdings ist die Schwelle für eine Meldung sehr hoch, und es handelt sich um eine Entscheidung im Einzelfall. In den meisten US-Bundesstaaten gibt es keine allgemeinen Meldepflichten, da diese als zu weitreichend und potenziell diskriminierend angesehen werden.
In Skandinavien wird die Prävention betont und eine enge Verbindung zwischen psychiatrischer Versorgung und Sozialarbeit angestrebt. Die Nachsorge nach einem stationären Aufenthalt erfolgt in der Regel engmaschig, wodurch die Wahrscheinlichkeit einer Entlassung potenziell gefährdeter Patienten ohne Betreuung verringert wird. Dort gelten Meldepflichten an die Polizei nur als Ausnahme und sind ausschließlich in Situationen akuter Gefahr erlaubt.
Auch in Österreich und der Schweiz gelten strenge Bestimmungen zur ärztlichen Schweigepflicht. Die Weitergabe von Informationen an die Polizei ist nur bei unmittelbarer und schwerwiegender Gefährdung erlaubt und erfordert in der Regel eine gerichtliche Anordnung.
Aus den internationalen Erfahrungen geht hervor, dass pauschale Meldepflichten mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sind und die Mehrheit der Länder auf Einzelfallentscheidungen sowie eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit setzt. In allen Systemen wird die Bedeutung einer umfassend ausgebauten psychiatrischen Versorgung und Nachsorge hervorgehoben. Damit wird die Debatte in Hessen Teil einer weltweiten Suche nach Lösungen, die Sicherheit und Grundrechte miteinander vereinbaren.
Aus der Perspektive der Vertreter der Betroffenen sowie von Fachleuten für psychische Gesundheit wirft die vorgesehene Meldepflicht für psychisch kranke Menschen, die als potenziell gefährlich gelten, gravierende gesellschaftliche und individuelle Fragen auf. Viele haben die Befürchtung, dass eine solche Regelung zu einer weiteren Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen führen könnte. Vorurteile und Diskriminierungen sind bereits heute weit verbreitet; Die öffentliche Wahrnehmung psychischer Erkrankungen ist oft von Angst und Unverständnis geprägt.
In der gesellschaftlichen Diskussion werden psychisch Kranke oft pauschal mit Gefährlichkeit in Verbindung gebracht, obwohl wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass der Großteil dieser Menschen kein erhöhtes Risiko für Gewalttaten aufweist. Im Gegenteil: Personen mit psychischen Erkrankungen sind wesentlich häufiger Opfer von Gewalt als dass sie diese verursachen. Die Einführung einer Meldepflicht könnte Vorurteile verstärken und die gesellschaftliche Teilhabe der Betroffenen zusätzlich erschweren. Furcht vor polizeilicher Kontrolle, sozialer Isolation oder beruflichen Nachteilen könnte dazu führen, dass Personen mit psychischen Problemen sich nicht einmal in Behandlung begeben oder ihre Symptome verschweigen.
Betroffene Organisationen, darunter der Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker (BApK), weisen darauf hin, dass eine Meldepflicht das bereits fragile Vertrauensverhältnis zwischen Patienten und Behandlern zusätzlich belasten könnte. Insbesondere im psychiatrischen Bereich ist Vertrauen eine entscheidende Bedingung für den Therapieerfolg. Wenn Patienten glauben, dass ihre Informationen gegen sie verwendet werden könnten, leidet dies nicht nur unter der Qualität der Behandlung, sondern auch unter ihrer Bereitschaft, Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Auch Juristen weisen darauf hin, dass eine systematische Erfassung und Weitergabe von Gesundheitsdaten zu gesellschaftlicher Stigmatisierung führen kann. Es ist möglich, dass die Betroffenen den Eindruck haben, dass man ihnen pauschal misstraut und ihre individuelle Freiheit werde eingeschränkt. Dies widerspricht den Grundsätzen einer modernen Psychiatrie, die auf Inklusion, Selbstbestimmung und Teilhabe abzielt. Eine Meldepflicht könnte demnach gesellschaftliche Auswirkungen haben, die den tatsächlichen Kreis potenziell gefährdender Patienten weit übersteigen und das Klima im Umgang mit psychischen Erkrankungen insgesamt verschlechtern.
Die beabsichtigte Verpflichtung zur Meldung psychisch kranker Personen, von denen eine mögliche Bedrohung für die Allgemeinheit ausgeht, wirft grundlegende ethische Fragestellungen auf. Das Spannungsfeld zwischen den Rechten des Einzelnen und dem Schutz der Allgemeinheit steht im Fokus. Das Abwägen von Sicherheit und Selbstbestimmung sowie von öffentlichem Interesse und persönlicher Integrität ist ein klassisches ethisches Dilemma, das in der Medizin, insbesondere in der Psychiatrie, immer wieder auftritt.
Die Befürworter der Meldepflicht bringen vor, dass es die Pflicht des Staates sei, seine Bürger zu schützen. Besteht Gewissheit, dass eine bestimmte Person eine konkrete Bedrohung darstellt, so müsse das Gemeinwohl über den individuellen Datenschutzinteressen stehen. Kritiker weisen jedoch darauf hin, dass eine solche Regelung einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen könnte: Wenn einmal mit der systematischen Weitergabe sensibler Gesundheitsdaten begonnen wird, könnte dies auch in anderen Bereichen zur Norm werden und Grundrechte untergraben.
Aus diesem Grund raten Ethikkommissionen und Fachgesellschaften dazu, Alternativen zur Meldepflicht zu evaluieren. Im Fokus steht der Ausbau präventiver und unterstützender Maßnahmen. Hierzu zählen eine verbesserte Ausstattung der psychiatrischen Versorgung, engmaschige Nachsorgeangebote sowie eine intensivere Vernetzung von Gesundheitswesen, Sozialdiensten und Polizei. Es wird auch über die Einrichtung von Krisenteams oder Fallkonferenzen diskutiert, in denen interdisziplinär beraten wird, wie man mit Risikopatienten umgehen soll. In vielen Fällen könnten bereits vorhandene gesetzliche Ausnahmen von der Schweigepflicht genügen, um akute Gefahren abzuwenden, ohne eine allgemeine Meldepflicht einzuführen.
Ein weiteres ethisches Dilemma liegt in der Vorhersage von Gefährlichkeit begründet. Es gibt beträchtliche Unwägbarkeiten, wenn es darum geht, vorauszusagen, ob eine Person mit psychischer Erkrankung tatsächlich eine Bedrohung für andere darstellt. Fehleinschätzungen können schwerwiegende Konsequenzen für die Betroffenen nach sich ziehen, wie beispielsweise ungerechtfertigte Überwachung oder Stigmatisierung. Damit sieht sich die Gesellschaft der Aufgabe gegenüber, individuelle Rechte und öffentliche Sicherheit in einem sensiblen Bereich auszubalancieren, in dem es selten einfache Lösungen gibt. Damit kann der Streit um die Meldepflicht auch als Maßstab dafür dienen, wie psychische Erkrankungen, Menschenwürde und soziale Verantwortung behandelt werden.